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Hochtourenkurs mit Bucket-List-Ziel

von Christian Seidel und Bernd Prause

02.09.2025

Am Abreisetag blieb der AV-Bus am Bordstein stehen; zu fünft brach der Hochtourenkurs mit einem privaten Pkw ins Pitztal auf. Ein paar Tage zuvor hatte es bereits eine Vorbesprechung und einen gemeinsamen Materialcheck im Turm gegeben. Am Nachmittag checkten wir im Taschachhaus (2434 m) ein. Das Haus war über Jahrzehnte zentraler DAV-Stützpunkt für die Eisausbildung. Im Zuge des Klimawandels verlor der Standort mittlerweile an Bedeutung.

Bald stiegen wir in die Kursthematik ein. Unter Christians kompetenter Anleitung stand ein erstes Trockentraining zu Seilhandling und Spaltenbergung an.

 

Freitag ging es ins alpine Übungsgelände. Im Zustieg zum Gletscher zeigte sich, dass der in der Karte verzeichnete Wegverlauf nicht mehr auffindbar ist und eingetragene Eisränder deutlich von der Realität abweichen. Die Geografen hinken dem Tempo der Gletscherschmelze nach, um das Kartenmaterial an die aktuellen Verhältnisse anzupassen. Das Gelände fordert Kreativität, um den besten Weg im Moränenschutt selbst zu finden. Letzlich überbrückt ein neuer, seilversicherter Steig eine ausgeaperte Felsstufe, die den Zugang zum ersten Eisfeld sperrt.

Der Juni 25 riß im Hochgebirge alle Rekorde. Mit Dauerblau ging es durch das Wochenende - Azzurro, Sonne pur. Aufgrund der anormal hohen Junitemperaturen, selbst nachts zog es nicht an, hatte die Schneeauflage der Gletscher viel an Tragfähigkeit eingebüßt. Es ergab sich ein kräftezehrendes Gestapfe. Jeder Schritt barg das unabsehbare Risiko, tief einzusinken.

Am Gletscher waren wir als Seilschaft unterwegs. Christian wählte für uns einen optimalen Hang für die obligatorischen Sturzübungen mit Abrutschen in jeder erdenklichen Körperlage. Das Einüben der Routinen machte Spaß, kostet aber auch Energie. An aperer Stelle exerzierten wir die Spaltenbergung à la »Lose Rolle«unter realistischen Bedingungen. Technik lernen gelingt am besten, wenn es mit  Praxis verbunden ist. Unter Anleitung unseres eiskletter-erfahrenen Leiters setzte jeder Eisschrauben als Fixpunkt. Auch wissen wir jetzt, wie eine Abalakow-Eissanduhr mit Eisschraube und Fädler hergestellt wird. You never know.

Der lange Tage endete mit einer spannenden Wegsuche. Im Rückweg ging es weglos kreuz und quer durch Moränenblockschutt. Christian legte ein echt gutes Timing hin, denn am Ende saßen wir super pünktlich am Tisch zum Abendessen.

Die umliegenden Gipfel schürten Lust auf mehr. Das Tourenziel war schnell ausgemacht. Die Wildspitze (3768 m), der prominenteste und höchste Gipfel der Ötztaler, stand bei vielen auf der Bucket List. Mit Start am Taschachhaus ist dies jedoch ein recht ambitioniertes Ziel für Konditionstiger.

Am Samstag war um 04:50 Uhr Abmarsch. Wir waren mit einigen anderen Gruppen unterwegs. Bereits in der Frühe führten die Schmelzwasserbäche im apren Bereich viel Wasser, was bei manchem für nasse Füße sorgte. Im schneebedeckten Teil war jeder Schritt echt anstrengend. Jeder Schritt konnte ein Einsinken bis zum Oberschenkel bedeuten. Die Stapfen unserer Vorgänger halfen nur bedingt, gaben aber Orientierung. Wieder knallte die Sonne, nur ein paar harmlose Wolken garnierten den dunkelblau erscheinenden Himmel. Der Gipfelaufbau ist heute ab Frühsommer aper. Die letzten 200 Höhenmeter geht man ohne Steigeisen. Der Permafrost weicht offensichtlich selbst in diesen Höhen. Es ergibt sich mitunter ein matschiger Mix. Das finale Blockgelände wartet mit kurzen Kraxlpassagen auf.

Der Gipfel bot in Lee einen geschützten Picknickplatz. Die Sicht auf die Bergwelt war grandios. Ein Bergführer, der schon oft dort oben gewesen war, bezeichnete die Bedingungen als die bisher schwierigsten Verhältnisse, die er jemals erlebte hatte. - Im sommerlichen Hochtourenbereich werden wir uns in Zukunft auf derartige Verhältnisse einstellen müssen.

Im Rückweg war die Schneedecke nun bis zur Basis komplett durchweicht. Im aperen Abschnitt rann das Wasser aller Orts. Die Tour endete nach fast 12 Stunden, alle hatten an diesem Tag Körner gelassen.

Am Sonntag rundete Christian unser Pensum mit Abseilübungen und Spalten-Selbstrettung im Klettergarten der Hütte (eine Kletterhalle gibt es auch) ab. Die Rückfahrt gestaltete sich zäh.Der Fernpass stand kurz vor dem Verkehrskollaps. Wir sind einfach sehr viele.
Die Verluste hielten sich in Grenzen, ein paar Gamaschen und zwei von Steigeisen perforierte Hosen. 

Alles in allem ein toller Kurs – jetzt kann es mit den Hochtouren richtig losgehen.